Konventionelle Schutzsysteme in elektrischen Verteilnetzen basieren auf statischen Parametrierungen, die nicht auf veränderte Netzzustände reagieren können. Moderne Schutzgeräte sind zwar digitalisiert und über Kommunikationsprotokolle wie IEC 61850-8-1 oder IEC 60870-5-103/104 vernetzt, eine automatisierte Anpassung der Schutzparameter an aktuelle Netzzustände erfolgt bislang jedoch nicht. Eine dynamische Anpassung der Schutzparameter wird in adaptiven Netzschutzsystemen realisiert. Solche dynamisch-adaptive Konzepte sind bisher nur im Übertragungsnetz pilotiert worden. Ziel des Projekts VeN²uS war es, ein adaptives, automatisiertes und vernetztes Schutzsystem für elektrische Verteilnetze zu entwickeln, das Schutzparameter dynamisch an den Netzzustand anpasst. Damit soll trotz wachsender Komplexität und Volatilität im Netz ein zuverlässiger, selektiver und schneller Schutz sichergestellt werden. Dies steht im Einklang mit den Zielen der Energiewende und des 7. Energieforschungsprogramms. Zur Zielerreichung wurde ein interdisziplinärer methodischer Ansatz verfolgt, der alle Schritte von der Anforderungserhebung bis zur Laborvalidierung abdeckte. Die Projektpartner brachten spezifische Beiträge ein – darunter automatisierter Parametergenerierung, Kommunikationsarchitektur, Schutzprüftechnik, Netzleitstellenintegration und Systemmodellierung. Die wesentlichen methodischen Schritte gliederten sich in acht Arbeitspakete. Die enge Zusammenarbeit der Partner ermöglichte eine durchgängige Entwicklung vom Konzept bis zur prototypischen Umsetzung. Das Projekt erreichte die automatisierte Generierung adaptiver Schutzparametersätze durch regelbasierte und optimierungsbasierte Verfahren. Für den Überstromzeitschutz konnten technisch konsistente Netzzustandsklassen gebildet und die Zustandsvielfalt ohne Verlust der Selektivität reduziert werden. Für den Distanzschutz war eine vergleichbare Klassifizierung aufgrund topologiespezifischer Abhängigkeiten nicht umsetzbar und blieb konzeptionell. Es wurde außerdem ein Kommunikationskonzept zur latenzarmen, zuverlässigen und sicheren Übertragung der Schutzparameter entwickelt und umgesetzt. Die Laborvalidierung verlief erfolgreich, ein geplanter Feldversuch fand nicht statt. Insgesamt ist die Methodik praxistauglich und reproduzierbar. Die entwickelten Konzepte sind ein wichtiger Schritt zur Realisierung adaptiver Schutzsysteme im Verteilnetz. Netzbetreibern wird empfohlen, frühzeitig geeignete Netzmodelle und Infrastruktur für Pilotierungen aufzubauen. Zentrale Punkte sind dabei die unterbrechungsfreie Parametrierung, Rückfallebenen, Interoperabilität und Transparenz für Betriebspersonal. Eine flächendeckende Anwendung erfordert weitere Standardisierung sowie eine abschließende Validierung im Feld.